Lisa O. wollte einen schönen Abend im Deutschen Theater München verbringen. Aufgrund ihrer Behinderung ist sie auf ihren Assistenzhund angewiesen. Hund Jacky erfüllt sowohl Servicehunde- als auch Signalhundeaufgaben. Als Servicehund hebt er Lisa Gegenstände auf, als Signalhund zeigt er ihr rechtzeitig epileptische Anfälle an. Aus dem Theaterbesuch wurde jedoch nichts, weil die Leitung des Theaters Hunde nicht akzeptiert, auch keine Assistenzhunde. Lisa bestand auf ihrem Recht und verklagte das Theater wegen Diskriminierung. Das Amtsgericht München gab dem Theater recht, sie fanden die Vorgangsweise nicht diskriminierend. Auch die Berufung beim Landgericht brachte keinen Erfolg. Lisa O. wandte sich daraufhin mit der Unterstützung von Lichtblicke e.V. an das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe. Vor kurzem kam das Schreiben: Die Klage wird abgewiesen, es wird also keine Entscheidung getroffen.

Vor noch nicht allzulanger Zeit haben die Verfassungsrichter ein ganz klares Urteil gesprochen. Sie sahen in der Behandlung einer Berliner Blindenführhundehalterin, der der Durchgang durch eine Orthopädiepraxis zu ihrem Physiotherapeuten mit ihrem Blindenführhund verweigert worden war, eine mittelbare Diskriminierung und hoben das Urteil des Kammergerichtes in Berlin auf. Sie bezogen sich dabei auf die UN-Behindertenrechtskonvention:

 

Artikel 9 Zugänglichkeit

(2) Die Vertragsstaaten treffen außerdem geeignete Maßnahmen, ….

  1. e) um menschliche und tierische Hilfe …. zur Verfügung zu stellen

 

Artikel 20 Persönliche Mobilität

Die Vertragsstaaten treffen wirksame Maßnahmen, um für Menschen mit Behinderungen persönliche Mobilität mit größtmöglicher Unabhängigkeit sicherzustellen, indem sie unter anderem

  1. b) den Zugang von Menschen mit Behinderungen zu hochwertigen Mobilitätshilfen, Geräten, unterstützenden Technologien und menschlicher und tierischer Hilfe sowie Mittelspersonen erleichtern, auch durch deren Bereitstellung zu erschwinglichen Kosten;

 

und auf das Grundgesetz Art. 3.:

 

Artikel 3 Grundgesetz

Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.

 

Wie kam es nun zu dieser völlig unterschiedlichen Vorgehensweise? Gelten die UN-Konvention und das Grundgesetz nur für blinde Menschen nicht für solche mit anderen Behinderungen? Das kann es wohl nicht sein. Das Bundesverfassungsgericht hat seine Ablehnung nicht begründet, es muss dies auch nicht tun. Wir können hier daher nur verschiedene Theorien durchprobieren.

 

  • Blindenführhunde kennt jeder. Sie sind zwar im Gegensatz zur vorherrschenden Informationslage auch nicht in einem Gesetz definiert, sie gelten aber als Hilfsmittel im Sinne des § 33 SGB V, werden von den Krankenkassen bezahlt und außerdem gibt es sie seit über 100 Jahren. „Assistenzhunde“ sind anscheinend etwas anderes, was, weiß man nicht so genau.

 

  • Die Verhinderung des Besuches eines Theaters wird von den Verfassungsrichtern für nicht so wichtig erachtet wie die Verhinderung eines Physiotherapiebesuches.

 

  • Assistenzhunde sind eine heiße Kartoffel, lieber trifft man derzeit keine Entscheidung als die falsche.

 

Wir vom Verein Lichtblicke e.V. hoffen, dass die Theorie Nr. 3 zutrifft. Dann hätten wir nämlich die Chance, dass sich die zukünftigen Entscheidungen der Verfassungsrichter nach Zustandekommen eines Assistenzhundegesetzes auf ein solches Gesetz beziehen und auch Besitzer der Nicht-Blindenführhunde, also der anderen Assistenzhunde (Servicehunde für Menschen mit Körperbehinderungen, Signalhunde für Diabetiker, Epileptiker, Autisten, Menschen mit posttraumatischen Belastungsstörungen etc.) nicht mehr diskriminiert werden.

 

Assistenzhunde: bekannt, bewundert und rechtlich ungeschützt

Prinzipiell haben ja viele Deutsche schon von Assistenzhunden gehört, die Menschen mit Behinderung helfen, wenn auch unter verschiedensten Bezeichnungen. Wenn ich als zweite Vorsitzende von Lichtblicke e.V. öfters quer durch Deutschland in Sachen Assistenzhunde unterwegs bin, unterhalte ich mich gerne mit Mitreisenden und spreche auch das Thema Assistenzhunde an. Die Mehrheit hat schon von diesen „tollen Hunden“ gehört, was die alles können und für Menschen mit Behinderung tun, sehr beeindruckend. Stimmt ja auch, diese Hunde sind, wenn sie richtig ausgesucht und ausgebildet sind, eine effiziente und unentbehrliche Hilfe für ihre Besitzer.

 

Wenn ich aber dann das Thema näher beleuchte, dann schlägt mir das große Staunen entgegen. „Was, jeder darf einfach so behaupten, dass sein Hund ein Assistenzhund ist und den als solchen verkaufen? Die haben gar keine Prüfung? Diese Hunde stehen nicht einmal in einem Gesetz? Und das in Deutschland, wo alles bis ins Kleinste geregelt ist! Ja, aber woran merkt man denn dann, dass ein Hund ein Assistenzhund ist? Gar nicht? Aber haben die nicht Ausweise und eine Kenndecke? Die sind alle nicht offiziell? Das ist ja unglaublich!“

 

Kein Wunder, dass sich in so einem Wirrwarr nicht einmal die Bundesverfassungsrichter zurechtfinden.

 

Wenn ich dann erkläre, dass das genau unser Anliegen ist – dass die Hunde nämlich nur nützen, wenn man sie überall hin mitnehmen kann, und dass andererseits die jeweiligen Geschäftsinhaber, Ärzte, Theaterdirektoren ein Recht haben, zu wissen, ob der Vierbeiner vor ihm wirklich ein Assistenzhund ist, finde ich zwar viel Verständnis für unsere Forderung nach einem Assistenzhundegesetz, aber wenig dafür, dass das so lange dauert.

 

Inklusion braucht Rechtssicherheit

Wir waren schon auf einem guten Weg. Das BMAS hatte bereits den Auftrag, einen Gesetzesvorschlag auszuarbeiten und hat dazu auch schon Arbeitsgruppen einberufen. Alles schien gut zu laufen, aber dann kam das Coronavirus. Klar, eine Pandemie betrifft alle und hat Vorrang. Auch das Grundgesetz ist derzeit in aller Munde. Genau um das geht es in unserem Fall. Die Diskriminierung von Menschen mit Behinderung ist laut Grundgesetz verboten. Inklusion braucht aber auch Rechtssicherheit, für die Betroffenen und alle anderen Bevölkerungsteile.

 

Diese Rechtssicherheit kann nur ein Assistenzhundegesetz mit einheitlicher Definition der Hunde, staatlicher Qualitätssicherung und einheitlichem Dokument für die Hundeführer samt einheitlicher Kennzeichnung der Hunde bieten.

 

Leider zieht sich die Sache schon unendlich lange hin. Dazu kommt noch, dass es so wie überall natürlich auch hier verschiedene Interessen gibt. Die Assistenzhundehalter möchten endlich das verbriefte Recht haben, mit ihren vierbeinigen Helfern unbehelligt in ganz Deutschland am täglichen Leben teilzunehmen. Das ist, wie man aus dem oben angeführten Urteil erkennen kann, bei weitem noch nicht zufriedenstellend geregelt und muss unbedingt verbessert werden. Wenn man das tut, hat andererseits natürlich das Personal in Geschäften, Arztpraxen, Theatern etc. das Recht, mit Sicherheit zu wissen, ob der jeweilige Mensch vor ihnen das Recht hat, seinen Hund in ihre Einrichtungen mitzunehmen. Diese verlangen also oft genug einen Nachweis für den Assistenzhund, den es aber bisher nicht gibt. Es ist also auch diese Fragestellung unbedingt zu klären.

 

Der Schwebezustand als Geschäftsmodell

Dieser langjährige Schwebezustand wird von allerlei Organisationen ausgenützt, die gute Geschäfte mit dem zukünftigen Prüfungswesen wittern und zumeist aus dem Hundetrainingsbereich kommen. Auf diese Weise versuchen sie, vorab schon Tatsachen zu schaffen, in der Hoffnung, dass der Gesetzgeber den Aufwand einer einheitlichen, deutschlandweiten staatlichen Kontrollstelle vermeiden will und sich mit den privaten Organisationen begnügt. Auch selbsternannte Sachverständige, die eigentlich Assistenzhundetrainer sind (für die es ebenfalls keine anerkannte Ausbildung gibt), bringen sich jetzt schon als zukünftige Prüfer in Position. Die Leidtragenden wären in diesem Falle erneut die Hundeführer, weil die Unabhängigkeit von den Ausbildungsstätten nicht gegeben wäre und es massive Probleme mit dem Datenschutz gäbe – es geht hier ja um sehr sensible Gesundheitsdaten.

 

So bietet bereits seit Januar 2020 eine (seit Jahren in Gründung befindliche) „Stiftung“ „Prüfungen“ mit anschließender Ausstellung eines „Ausweises“ und einer Kenndecke an. Damit sollen dann „anerkannte Assistenzhunde“, die es derzeit noch gar nicht gibt, erkennbar sein. Beides hat natürlich keinerlei rechtliche Bedeutung, aber es ist kein Wunder, wenn Assistenzhundebesitzer in ihrer momentanen Notlage nach jedem Strohhalm greifen. Diese Organisation ist jedoch nicht die einzige, wie man beim Stöbern im Internet bald erkennen kann. Die gut gemachten Webseiten von „fachkundigen und unabhängigen Vereinigungen“, die bei näherer Betrachtung regelmäßig eine bemerkenswerte Nähe zu Assistenzhundeschulen aufweisen, gaukeln sowohl Hundehaltern als auch den anderen Beteiligten eine Patentlösung der leidigen Zutrittsprobleme vor. Sogar öffentliche Stellen verlangen teilweise von Assistenzhundehaltern, dass sie „Ausweise“ von derartigen Vereinigungen vorlegen.

 

Ja, Corona hat uns gebremst. Jetzt nimmt das Land aber wieder Fahrt auf. Alle brauchen ein Assistenzhundegesetz. Worauf warten wir also noch?